Eine späte Rache mit Worten und Musik


Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano liest und singt im GBN / Demokratie ist nicht selbstverständlich

BAD NENNDORF (tr). Mit einer Lesung aus ihrer Autobiografie „Erinnerungen“ und einem Konzert hat die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano ihr Publikum im Gymnasium Bad Nenndorf beeindruckt. Die 93-Jährige berichtete als „späte Rache an den Nazis“, wie sie sagte, über ihre Zeit im Konzentrationslager, ihre Flucht, ihre Befreiung – und welche Rolle Musik dabei spielte. Das vorweg: eine große. Um der schweren und „völlig sinnlosen“ Arbeit in Auschwitz-Birkenau zu entgehen, spielte Bejarano nämlich für das dortige Mädchenorchester vor. „Wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, aus der Kolonne herauszukommen, wäre ich wohl zugrundegegangen“, sagte die Saarländerin. Vorgespielt habe sie mit einem Akkordeon – ohne das Instrument je gespielt zu haben. „Aber ich habe die Akkorde getroffen. Das war wie ein Wunder.“ Das habe für sie zumindest etwas bessere Lebensbedingungen, aber auch eine psychische Belastung bedeutet.

Nach Instrumentenwechseln und Erkrankungen erreichte Bejarano die Anerkennung als „Viertelarisch“, somit wurde sie in das KZ Ravensbrück verlegt, wo sie für Siemens arbeiten musste. Nach zwei Jahren wurde ihr der Judenstern abgenommen und gegen einen roten Winkel getauscht, der politische Gefangene kennzeichnete. Bejarano war arisiert -„was Schwachsinn war. Sie haben so viele Mischlinge ermordet, und jetzt sollten wir uns auf einmal arisch fühlen.“ Als das Lager schließlich evakuiert wurde, wurden Bejarano und ihre Mitgefangenen auf einen der sogenannten Todesmärsche geschickt. „Wir gingen tagelang durch Städte, Dörfer, Wälder und diese Faschistenbande hat viele von uns ermordet“, erzählte sie.

Doch Bejarano kam durch, traf sogar eine Freundin wieder, und als die Gefangenen mitbekommen, dass ihre Wächter nicht mehr schießen dürfen, verstecken sich sieben von ihnen, kommen eine Nacht in einem Bauernhaus unter – und begegnen am nächsten Tag den einrückenden Amerikanern. „Wir sind mit ihnen auf dem Panzer ins Dorf gefahren und wurden zum Essen eingeladen. Dort haben wir vom KZ erzählt – und es dauerte keine halbe Stunde, da hatte ich wieder ein Akkordeon in der Hand.“ Dieses Mal allerdings freiwillig. Es sollte gefeiert werden. „Alle waren glücklich, dass der Krieg zu Ende war“, sagte Bejarano. Auf dem Marktplatz sei ein Hitlerbild verbrannt worden, alle drum herum tanzten. „Dieses Bild werde ich nie vergessen. Es war nicht nur meine Befreiung, sondern meine zweite Geburt.“ Bereits zur Begrüßung der Gäste im restlos gefüllten Schulforum hob Winfried Wingert, der Vorsitzende von Bad Nenndorf ist bunt, ein Detail hervor: Die Veranstaltung finde am internationalen Tag der Demokratie statt. „Die aktuellen Ereignisse zum Beispiel in Chemnitz zeigen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist“, sagte er. In diesem Sinne könne die Lesung als „Fest der Demokratie“ gesehen werden X – „vielleicht kann das ja sogar zu einer Tradition werden“, sagte er. Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Marina Jalowaja hätte wohl nichts dagegen: Es sei unabhängig von Schuldgefühlen besonders wichtig, über den Holocaust immer und immer wieder aufzuklären, ergänzte sie.

Im Anschluss an die Lesung zeigte Bejarano, dass die Musik auch im höheren Alter noch in ihr steckt: Gemeinsam mit der ‚Microphone Mafia‘- neben der 93-Jährigen selbst sind das ihr Sohn und Bassist Joram Bejarano sowie Rapper Kutlu Yurtseven – einige Hip-Hop-Stücke. Deutliche Worte fand vor allem Letztgenannter: Schon damals sei der Aufstieg der Nationalsozialisten durch das Schweigen der Masse begünstigt worden, auch bei den rassistisch motivierten Angriffen in Rostock-Lichtenhagen und dem Brandanschlag in Solingen Anfang der Neunzigerjahre sei dies zu beobachten gewesen. Auch aktuell sei zumindest kein massenhaftes Aufbegehren zu sehen. „Es kommen nicht nur Kuscheltiere zu uns und ob das Anzünden von Autos eine Form der politischen Meinungsäußerung ist, darf auch diskutiert werden. Aber Nazis morden“, sagte er. Dabei sei es doch eigentlich nicht schwierig, zusammenzustehen: „Die Herzen sind vereint – der Kopf muss nur wollen.“ Foto: tr

Bericht aus dem Schaumburger Wochenblatt vom 29.09.2018